Inhaltsverzeichnis zum Bericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe des UARV und des UAFEK zur Umsetzung des IMK-Beschlusses vom 15.05.2003 zu TOP 38.3 "Umrüstung auf Winterreifen bei winterlichen Straßenverhältnissen"
1. Auftrag der IMK
2. Umsetzung / Konkretisierung des Auftrages
3. Problemlage
4. Möglichkeiten die Straßenverkehrssicherheit bei winterlichen Straßenverhältnissen zu erhöhen
4.1 Winterdienst
4.2 Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörden
4.3 Verpflichtung zur angepassten Fahrzeugausrüstung / Bereifung bei winterlichen Straßenverhältnissen
4.3.1 "Winterreifen"
4.3.2 Rechtlicher Rahmen
4.3.3 Einführung einer StVZO / Zulassungsregel
4.3.3.1 Definition von Winterreifen
4.3.3.2 Mindestprofiltiefe
4.3.3.3 Zeitfensterlösung / Verhältnismäßigkeit
4.3.3.4 Unbestimmter Rechtsbegriff
4.3.3.5 Regelung des § 19 Abs. 1 StVZO
4.3.3.6 Auswirkung auf den internationalen Verkehr
4.3.4 Einführung einer Verhaltensregel
4.3.4.1 Unbestimmter Rechtsbegriff
4.3.4.2 Zeitfenster
4.3.4.3 Auswirkungen auf den Transitverkehr
4.3.4.4 Sanktionierung
4.3.4.5 Vollzug
5. Zusammenfassung
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Bericht der gemeinsamen Arbeitsgruppe des UARV und des UAFEK zur Umsetzung des IMK-Beschlusses vom 15. 05. 2003 zu TOP 38.3 "Umrüstung auf Winterreifen bei winterlichen Straßenverhältnissen"
Auftrag der IMK
Auf ihrer 172. Sitzung am 14./15. Mai 2003 in Erfurt beschloss die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) unter TOP 38.3
1. Die IMK beauftragt den AK II, im Hinblick auf eine oftmals nicht an die winterlichen Straßenverhältnisse angepasste Fahrweise bzw. Ausrüstung der Fahrzeuge Möglichkeiten zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit im Straßenverkehr zu erheben und dabei auch die Einführung einer Verhaltensregel zur Bereifung der Kraftfahrzeuge mit Winterreifen bei entsprechenden Witterungsverhältnissen zu prüfen.
2. Die IMK erwartet den Bericht möglichst zu ihrer Herbstsitzung 2003.
Umsetzung / Konkretisierung des Auftrages
Mit Schreiben vom 30. Mai 2003 bat der Vorsitzende des Arbeitskreises II der Innenminister- Konferenz (AK II) die Vorsitzenden der Unterausschüsse Recht und Verwaltung (UARV) sowie Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung (UAFEK) den Auftrag der IMK in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe unter Federführung des UARV umzusetzen und dem AK II bis zu seiner Herbstsitzung einen Bericht mit Beschlussvorschlag für die IMK vorzulegen.
Zur Umsetzung dieses Auftrages konstituierte sich eine gemeinsame Arbeitsgruppe des UARV und UAFEK. Lediglich fünf Bundesländer (Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Niedersachsen) haben Vertreter in die Arbeitsgruppe entsandt. Dies sind: Ltd. PD Gerhard Bauer (Polizeipräsidium Oberfranken)
PD Jürgen Hirschle (Innenministerium Baden-Württemberg)
PD Franz-Josef Brandt (Ministerium des Innern und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz)
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EPHK Heinz Fritzler (Innenministerium Schleswig-Holstein)
OAR Kralik (Bayerisches Staatsministerium des Innern)
RegAss Markus Pragal (Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport),
Der Vorsitz der Arbeitsgruppe wurde Niedersachsen übertragen. Nach erfolgter Vorabstimmung kam die Arbeitsgruppe am 31.07.2003 in Hannover zu einer Arbeitssitzung zusammen.
Neben unterschiedlichen Auffassungen nicht nur zu inhaltlichen Fragen, bestand zunächst auch keine Einigkeit, wie der Auftrag der IMK umzusetzen sei. Im Ergebnis hat sich die Arbeitsgruppe auf die nachfolgenden wesentlichen Eckpunkte zur Umsetzung des IMK-Auftrages geeinigt.
Um der Erwartungshaltung der IMK, den Bericht des AK II zur Herbstsitzung 2003 vorliegen zu haben, entsprechen zu können, hat sich die Arbeitsgruppe darauf verständigt, den Auftrag dahingehend zu interpretieren, polizeitaktische Einzelmaßnahmen nicht zu berücksichtigen, sondern sich vielmehr auf straßenverkehrsrechtliche Aspekte zu fokussieren.
Der Bericht wird daher insbesondere die Problematik der Umrüstung auf Winterreifen unter zulassungsrechtlichen und verhaltensrechtlichen Gesichtspunkten sowie bezüglich der Einflussmöglichkeiten durch die Straßenverkehrsbehörden beleuchten. Insoweit beschränkt sich die Arbeitsgruppe auf die Darstellung diesbezüglicher wesentlicher Möglichkeiten zur Verbesserung der Sicherheit des Straßenverkehrs, wobei bei der alternativen Darstellung möglicher Neuregelungen jeweils auf die mit einer Einführung verbundenen rechtlichen und tatsächlichen Probleme hingewiesen wird.
Auf der Grundlage dieser Prämissen wurde der vorliegende Bericht gemeinschaftlich verfasst und im Umlaufverfahren abgestimmt. Eine zweite Arbeitssitzung war aus zeitlichen Gründen nicht möglich.
Problemlage
Im Winter, insbesondere zu Beginn der Jahreszeit, kommt es immer wieder zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen, teilweise chaotischen Stausituationen und zu zahlreichen Unfällen. Besonders betroffen sind regelmäßig Bundesautobahnen, insbesondere auf Streckenabschnitten mit erheblichen Steigungen. Die verkehrlichen Probleme bei winterlichen Straßenverhältnissen sind aber nicht nur auf Bundesautobahnen begrenzt. Generell kommt es im Winter - auch in Städten - regelmäßig zu erheblichen Verkehrsbehinderungen und überdurchschnittlich vielen Unfällen.
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Extreme Wetterverhältnisse mit ergiebigem Schneefall, heftigem Wind und niedrigen Temperaturen bringen oft innerhalb kürzester Zeit den Verkehr zum Erliegen. Die Wettervorhersagen sind oft wenig aussagekräftig, langfristige Prognosen sind selten möglich.
Zahlreiche Bundesautobahnen haben sich in den letzten Jahren immer mehr zu reinen Transitstrecken entwickelt. Vor dem Hintergrund der EU-Ost-Erweiterung wird sich dieser Trend sicherlich fortentwickeln. Tägliche DTV-Werte zwischen 60- und 70.000 Fahrzeugen mit einem überproportionalen Anteil von ca. 25 % Schwerverkehr, sind auf vielen Strecken Normalität und kennzeichnen so eine schwierige Situation.
Eine weitere Ursache der Problematik stellt die insgesamt schlechte Winterausrüstung der Kraftfahrzeuge dar. Laut einschlägigen Schätzungen sind nur etwa 40 % der Pkw und ca. 20 % der Lkw mit Winterreifen ausgerüstet. Diese Daten werden durch Erkenntnisse der Polizei bestätigt.
Die Erfahrung hat auch gezeigt, dass gerade standardisierte Verkehrsfunkdurchsagen oft nicht beachtet werden. Umleitungsempfehlungen, Appelle an die Vernunft, geplante Fahrten zu verschieben, frühzeitig Pausen einzulegen und geeignete Parkplätze bzw. Rastanlagen anzufahren werden weitgehend ignoriert.
Fazit: Die bei winterlichen Straßenverhältnissen regelmäßig auftretenden Verkehrsbeeinträchtigungen insbesondere die teilweise chaotischen Stausituationen bis hin zum völligen Erliegen des Verkehrs werden durch verschiedene Faktoren verursacht. Neben einer unangepassten oder auch ungekonnten Fahrweise und der Missachtung von Verkehrshinweisen ist nach Auffassung der Arbeitsgruppe eine häufig nicht den winterlichen Straßenverhältnissen angepasste Fahrzeugausrüstung / Bereifung wesentliche Ursache der verkehrlichen Probleme und Staulagen.
Möglichkeiten die Straßenverkehrssicherheit bei winterlichen Straßenverhältnissen zu erhöhen
Die Arbeitsgruppe hat sich bei der Erörterung und Prüfung verschiedener Möglichkeiten die Straßenverkehrssicherheit bei winterlichen Straßenverhältnissen zu erhöhen auf drei Aspekte beschränkt. Die Möglichkeit das Verkehrsverhalten der Verkehrsteilnehmer durch noch mehr Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern wurde bewusst außer acht gelassen. Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit sind sinnvoll und müssen selbstverständlich weiterhin durchgeführt werden. Gleichwohl hat sich gezeigt, dass trotz einer massiven
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Öffentlichkeitsarbeit von Seiten des BMVBW, der Innenressorts verschiedener Bundesländer sowie des DVR, die Umrüstung auf Winterreifen weiterhin zu wenig Akzeptanz findet und daher regelmäßig erhebliche Verkehrsprobleme und extreme Stausituationen bei winterlichen Straßenverhältnissen auftreten. Die Arbeitsgruppe war sich einig, dass diesen Extremsituationen nicht allein durch Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit beizukommen ist.
4.1 Winterdienst
Nicht unerwähnt bleiben sollte der Umstand, dass im Bereich des Winterdienstes mitunter erhebliche Personaleinsparungen vorgenommen wurden, mit der Konsequenz, dass bestehende Räumschleifen ausgedehnt und somit die Umlaufzeiten verlängert wurden. In prekären Wettersituationen verschärft dies die Stauanfälligkeit neuralgischer Straßenabschnitte erheblich, zumal ein funktionierender Räum- und Streudienst nur dann gewährleistet werden kann, wenn der Verkehr noch fließt. Diesem Umstand muss ggf. durch temporäre Verschiebungen der Räumeinsätze sowie einer kritischen Evaluation der Neuorganisation der Winterdienste begegnet werden.
4.2 Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörden
Bundesfernstraßen (Bundesautobahnen und Bundesstraßen) bilden zusammen mit den Staatsstraßen/Landesstraßen als öffentliche Straßen ein zusammenhängendes Verkehrsnetz und dienen auch einem weiträumigen Verkehr. Der Gebrauch dieser Fernstraßen ist jedermann im Rahmen der Widmung und der verkehrsbehördlichen Vorschriften zum Verkehr gestattet (Gemeingebrauch).
Verkehrsbehördliche Vorschriften durch Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen (wie Lichtzeichenanlagen) können von den Straßenverkehrsbehörden nur nach Maßgabe des § 45 StVO angeordnet werden. Kernstück dieser Vorschrift ist § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. Danach können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Das gleiche Recht haben sie ferner u. a. hinsichtlich der zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 StVO). Ergänzend ist § 45 Abs. 9 Sätze 1 und 2 StVO zu beachten. Danach sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Insbesondere dürfen Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs auf Fernstraßen nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung
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insbesondere der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs oder der öffentlichen Sicherheit erheblich übersteigt.
Ein Ermessen steht den Straßenverkehrsbehörden insbesondere zu, soweit es um die Auswahl der Mittel geht, mit denen die konkrete Gefahr bekämpft oder gemildert werden soll. Dabei ist allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Dieser Grundsatz ist verletzt, wenn z. B. die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs durch weniger weitgehende (straßenverkehrsrechtliche) Anordnungen gewährleistet werden kann.
Erforderliche Maßnahmen zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit dürfen abweichend davon nicht nur durch Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen, sondern auch durch Rundfunk, Fernsehen, Tageszeitungen und auf andere Weise bekannt gegeben werden (vgl. § 45 Abs. 4 StVO).
Auf dieser Grundlage sind bei winterlichen Straßenverhältnissen eine Reihe von straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen denkbar. Dargestellt wird dies am Beispiel der Autobahnen. Obwohl diese nur ca. 2 % des öffentlichen Straßennetzes ausmachen, wird hier über ein Drittel aller Fahrleistungen mit Kraftfahrzeugen erbracht. Im Einzelnen sind dies:
a) Maßnahme mit empfehlendem Charakter - Wechselwegweisung, soweit notwendig und möglich b) Verkehrsbeschränkungen/Verkehrsverbote auf der Autobahn
- Richtgeschwindigkeit (Zeichen 380) - Geschwindigkeitsbeschränkung (für PKW, für LKW) - Überholverbote (für PKW, für LKW) - Verbot für Kraftfahrzeuge mit gefährlichen Gütern (Zeichen 261) - fahrstreifenbezogenes Verbot für LKW (Zeichen 253) - Winterreifenpflicht (für LKW, für alle) - Schneekettenpflicht (für LKW, für alle)
c) Verkehrsverbot an den Anschlussstellen
- Winterreifenpflicht (für LKW, für alle) - Schneekettenpflicht (für LKW, für alle) - Verbot der Einfahrt (für LKW, für alle)
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Eine Überprüfung dieser Instrumente an Autobahnabschnitten mit kritischen Winterdienstlagen (im Freistaat Bayern) hat gezeigt, dass deren Anwendung - mit Ausnahme des fahrstreifenbezogenen Verbots für LKW (Zeichen 253) an Steigungsstrecken - ungeeignet oder nicht zielführend ist. Der durchschnittliche tägliche Verkehr beträgt auf den Autobahnen im Freistaat Bayern für das Jahr 2001 46.980 Kraftfahrzeuge. In den Autobahnabschnitten mit kritischen Winterdienstlagen ist diese Verkehrsbelastung zum Teil deutlich höher (z. B. Autobahn A 8/Ost im Bereich Irschenberg 78621 DTV 2000). Dem steht gegenüber, dass die Ausrüstungsquote mit Winterreifen im Jahr 2001 bei PKW (mit ca. 42 %), bei leichten Nutzfahrzeugen (mit ca. 30 %) und bei schweren Nutzfahrzeugen (lediglich 20 %) eher gering ist (Quelle: Pressemitteilung des DVR vom 26.02.2002). Hinzu kommt, dass für diese Verkehrsmengen auch nicht ansatzweise eine ausreichende Anzahl von Auffangparkplätzen weder auf der Autobahn noch im nachgeordneten Straßennetz entlang der Autobahnen vorhanden ist. So sind z. B. an den neueren PWC-Anlagen in der Regel 8 Stellplätze für Schwerfahrzeuge (LKW, KOM) vorgesehen. Bei den zu bewältigenden Verkehrsmengen ist dies, wenn man z. B. am Irschenberg eine Winterreifenpflicht mittels Verkehrszeichen einführen wollte, schlicht nicht darstellbar.
Fazit: Straßenverkehrsbehördliche Maßnahmen allein sind nach Auffassung der Arbeitsgruppe nicht geeignet, die Staulagen auf Bundesautobahnen bei winterlichen Verkehrsverhältnissen zu verhindern.
4.3 Verpflichtung zur angepassten Fahrzeugausrüstung / Bereifung bei winterlichen Straßenverhältnissen
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Im Hinblick darauf, dass durch die Einführung einer Verhaltensregel ggf. auch im Zulassungsrecht angesiedelte Regelungsbereiche berührt werden und verschiedene Problemstellungen sowohl für das Zulassungs- als auch das Verhaltensrecht relevant sind, hat die Arbeitsgruppe neben der Einführung einer Verhaltensregel zur Bereifung von Kraftfahrzeugen mit Winterreifen bei entsprechenden Witterungsverhältnissen auch die Möglichkeit der Einführung einer Zulassungsregel geprüft.
Als Grundlage der Prüfung möglicher neuer Regelungen hat sich die Arbeitsgruppe mit den bestehenden gesetzlichen Regelungen befasst und eine kurze Darstellung des rechtlichen Rahmens erarbeitet. Zuerst hat die Arbeitsgruppe es allerdings als notwendig erachtet die Bedeutung des Begriffes "Winterreifen" sowohl in rechtlicher Hinsicht als auch in Bezug auf Fahreigenschaften zu klären und diesen Teil voranzustellen.
4.3.1 "Winterreifen"
An einen vom Hersteller oder Händler als "Winterreifen" gekennzeichneten Reifen, werden vom Kunden bestimmte Erwartungen an die Beschaffenheit des Reifens insbesondere hinsichtlich der Fahreigenschaften bei winterlichen Straßenverhältnissen geknüpft.
So ist es in Deutschland (geschäfts)üblich Reifen als "Winterreifen" zu bezeichnen, die im Gegensatz zu Sommerreifen einen höheren Anteil an Silica in der Laufflächenmischung, eine asymmetrische Profilgebung, eine geometrische Anordnung der Profilblöcke sowie besonders angeordnete Lamellen auf der Lauffläche haben. Teilweise werden solche Reifen durch ein Schneeflockensymbol gekennzeichnet.
Durch das Zusammenwirken dieser Beschaffenheitsmerkmale haben "Winterreifen" im Vergleich zu Sommerreifen bei Eis- und Schneeglätte eine bessere Haftfähigkeit, stabilere Seitenführung sowie eine bessere Traktion bzw. einen erheblich kürzeren Bremsweg. Nach der Arbeitsgruppe vorliegenden Erkenntnissen lässt sich verallgemeinernd sagen, dass Winterreifen gegenüber einem gleichdimensionierten Sommerreifen bei Temperaturen von weniger oder gleich 7 Grad Celsius deutliche Vorteile besitzen. Voraussetzung hierfür ist, dass die Reifen eine Profiltiefe von mindestens 4 mm aufweisen. Bei einer Restprofiltiefe von weniger als 4 mm ist die Wintertauglichkeit nicht mehr ausreichend.
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Im deutschen Recht sind "Winterreifen" weder spezifiziert noch als solche definiert. Die einzigen Vorschriften in denen der Begriff Winterreifen gebraucht wird, sind § 36 Abs. 1 Satz 3 StVZO, der bestimmt: "Bei Verwendung von M+S Reifen (Winterreifen) ...." und § 18 BOKraft der bestimmt, dass "beim Einsatz der Fahrzeuge die Ausrüstung den jeweiligen Straßen- und Witterungsverhältnissen anzupassen ist. Wenn es die Umstände angezeigt erscheinen lassen, sind Winterreifen, Schneeketten, Spaten und Hacke sowie Abschleppseil oder -stange mitzuführen".
Gem. Ziffer 2.2 des Anhangs II der Richtlinie 92/23/EWG des Rates vom 31. März 1992 sowie der Regel der Economic Commission for Europe für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger(ECE-Regelungen) Nr. 30 sind "M+S Reifen" ("M+S" steht für die "mud and snow") Reifen, bei denen das Profil der Lauffläche und die Struktur so konzipiert sind, dass sie vor allem bei Matsch und frischem oder schmelzendem Schnee bessere Fahreigenschaften gewährleisten als normale Reifen. Das Profil der Laufflächen der M+S Reifen ist im allgemeinen durch größere Profilrillen und / oder Stollen gekennzeichnet, die voneinander durch größere Zwischenräume getrennt sind, als dies bei normalen Reifen der Fall ist.
Unter die Definition von M + S Reifen i. S. d. RL 92/23/EWG bzw. der ECE-Regelung fallen auch Ganzjahresreifen und sogenannte "off-road Reifen", die nicht die eingangs beschriebenen Eigenschaften von "klassischen Winterreifen" besitzen. Der Standard und die guten Wintereigenschaften des "klassischen Winterreifens" beruhen lediglich auf der Konkurrenzsituation des Marktes.
Es ist somit zu differenzieren zwischen M+S-Reifen im Sinne der Legaldefinition des § 36 Abs. 1 Satz 3 StVZO (im Folgenden M+S-Reifen) und "klassischen Winterreifen" (im Folgenden Winterreifen) im Sinne von Reifen, die den besonderen Erwartungen an winterliche Fahreigenschaften gerecht werden.
4.3.2 Rechtlicher Rahmen
Während die StVO mehrere spezielle Verhaltensregeln hinsichtlich der Fahrweise / Geschwindigkeit bei besonderen Witterungsverhältnissen normiert, enthalten weder die StVO noch die StVZO eine Regelung, die ausdrücklich eine spezielle Bereifung bei winterlichen Witterungsverhältnissen vorsieht. § 30 Abs. 1 StVZO konstituiert nur allgemeine Bau- und Betriebsvorschriften ohne konkreten Bezug zu Reifen. § 36 StVZO bestimmt
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lediglich Beschaffenheitsvorschriften für den Fall, dass M+S Reifen verwendet werden, ohne eine Verpflichtung M+S Reifen bei bestimmten Witterungsverhältnissen benutzen zu müssen, aufzustellen. In Abs. 2 wird lediglich die für alle Reifen geltende Mindestprofiltiefe von 1,6 mm festgeschrieben.
Auch die Straßenverkehrsordnung (StVO) enthält keine ausdrückliche Vorschrift, die bestimmt, dass bei bestimmten Witterungsverhältnissen bestimmte Reifen z. B. M+S-Reifen zu benutzen sind. Lediglich § 41 StVO schreibt Nutzung von Schneeketten vor, wenn das Verkehrszeichen 268 aufgestellt ist. Eine Nutzungspflicht für M+S-Reifen ist durch Verkehrszeichen nicht geregelt.
Schließlich wird auch in der BOKraft keine obligatorische Benutzung von Winterreifen normiert. § 18 BOKraft sieht lediglich vor, dass Winterreifen unter bestimmten Umständen mitzuführen sind.
Grundsätzlich bleibt es deshalb der persönlichen Verantwortung des Fahrzeughalters und des Fahrzeugführers überlassen, ob bei winterlichen Straßenverhältnissen das Fahrzeug mit M+S-Reifen bzw. Winterreifen ausgerüstet wird.
Gleichwohl ergibt sich für den Fahrzeugführer bereits aufgrund der bestehenden Vorschriften, insbesondere der §§ 1, 3 und 23 StVO, die Verpflichtung, mit angepasstem Fahrverhalten und ebenso mit angepasster Fahrzeugausrüstung sich auf die jeweils konkreten, und damit auch auf die winterlichen Verkehrsbedingungen einzustellen. Daraus abzuleiten ist die Verpflichtung, bei plötzlich eintretenden winterlichen Verhältnissen und gleichzeitig nur unzureichender Ausrüstung des Fahrzeugs, auf die Teilnahme am öf- fentlichen Straßenverkehr (vorübergehend) zu verzichten (vgl. die im anliegenden Schreiben des BMVBW (Seite 3) vom 21.07.2003 vertretene Rechtsauffassung)
In den übrigen europäischen Ländern existiert keine einheitliche Rechtslage in Bezug auf eine obligatorische Benutzung von Winterreifen. In Finnland besteht in den Wintermonaten für alle Kraftfahrer die Pflicht, M+S Reifen mit einer Mindestprofiltiefe von 4 mm zu benutzen. In Norwegen und Schweden ist eine zwingende Bereifung mit M+S Reifen zwar teilweise für Inländer, nicht aber für ausländische Fahrzeuge vorgesehen.
In den benachbarten Alpenländern Österreich, Schweiz, Italien und Frankreich besteht keine generelle Verpflichtung M+S-Reifen (Winterreifen) zu benutzen. In allen vier Ländern kann
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die M+S-Reifen- Schneekettennutzung aber durch Verkehrszeichen gesondert angeordnet werden. In diesen Fällen ist eine Mindestprofiltiefe von 4 mm vorgesehen.
Bei Verkehrsunfällen auf winterlichen Straßen kann, nach deutschem Recht, der Verzicht auf Winterreifen in ganz bestimmten Fällen zur Einschränkung des Versicherungsschutzes führen, insbesondere in Verbindung mit nicht angepasster Geschwindigkeit
4.3.3 Einführung einer StVZO / Zulassungsregel
Die Arbeitsgruppe hat eine mögliche Einführung einer Zulassungsregel, bei bestimmten Witterungsverhältnissen verpflichtend Winterreifen zu benutzen, diskutiert. Es bestehen die nachfolgend dargestellten Bedenken:
4.3.3.1 Definition von Winterreifen
Wie bereits oben dargestellt, beruhen der Standard und die guten Wintereigenschaften des "klassischen" Winterreifens auf der Konkurrenzsituation des Marktes. Sie sind weder im deutschen noch im europäischen Recht spezifiziert bzw. definiert. Um das gesetzgeberische Ziel "Einsatz von Reifen mit ausreichenden Wintereigenschaften" zu gewährleisten, wäre es daher erforderlich, Winterreifen abweichend von der Kennzeichnung "M+S-Reifen" i. S. d. Ziffer 2.2 des Anhangs II der Richtlinie 92/23/EWG zu definieren. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass vielfach Reifen mit einer M+S Kennzeichnung aber weniger guten Wintereigenschaften als klassische Winterreifen gefahren würden. Die Einführung einer Vorschrift, die Winterreifen abweichend von der Definition als M+S-Reifen definieren würde, würde ggf. die Durchführung eines Notifizierungsverfahren gem. Art. 8 ff der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.06.1998, zuletzt geändert durch Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.07.1998 notwendig machen.
4.3.3.2 Mindestprofiltiefe
Die in § 36 Abs. 2 Satz 4 StVZO vorgeschriebene Mindestprofiltiefe gilt unterschiedslos für alle Luftreifen, mithin auch für M+S und ggf. noch zu definierende Winterreifen. Winterreifen
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entfalten aber nur ab einer Profiltiefe von wenigstens 4 mm besondere Wintereigenschaften. Da ein alter Winterreifen mit einer (gesetzlich zulässigen) Profiltiefe < 4 mm ggf. schlechtere Wintereigenschaften als eine neuer Sommerreifen hätte, müsste - um das gesetzgeberische Ziel der Einführung einer Regel zur Benutzung von Winterreifen umzusetzen - eine größere Mindestprofiltiefe für Winterreifen vorgeschrieben werden. Somit müsste von den Regelungen der Mindestprofiltiefe der bereits umgesetzten Richtlinie 89/459 EWG des Rates vom 18.Juli 1989 abgewichen werden, was wiederum ein Notifizierungsverfahren gem. Art. 8 ff der RL 98/34/EG notwendig machen würde.
4.3.3.3 Zeitfensterlösung / Verhältnismäßigkeit
Die Einführung einer auf die Benutzung von Winterreifen gerichteten Ausrüstungsvorschrift erfordert entweder die Festlegung eines bestimmten Zeitraumes, in der die Benutzung von Winterreifen obligatorisch sein soll, oder die Definition der Witterungsverhältnisse mit einem die Ausrüstungspflicht auslösenden (zwangsläufig unbestimmten) Rechtsbegriff.
Eine Lösung mittels Zeitfenster würde auch Fahrzeughalter, die bei winterlichen Straßenverhältnissen bewusst auf die Benutzung ihres Fahrzeuges verzichten sowie Fahrzeughalter in den Regionen Deutschlands, die selten von winterlichen Witterungsbedingungen betroffen sind, betreffen.
Eine Auswertung der Wetterverhältnisse, beispielhaft für die Regionen Hamburg, Düsseldorf, Leipzig und München während der Wintermonate 2002 und 2003 hat allerdings gezeigt, dass die durchschnittlichen Tageshöchsttemperaturen durchweg bei 7 bis 8 Grad Celsius, die Tiefsttemperaturen bei bis zu minus 16 Grad Celsius lagen. Ausgehend von der Prämisse, dass bei einer Temperatur von gleich oder unter 7 Grad Celsius Winterreifen generell bessere Fahreigenschaften als Sommerreifen haben sowie im Hinblick auf die ausgewerteten Niederschläge und Schneefallhöhen wäre nach Auffassung der Arbeitsgruppe in allen Regionen Deutschlands die Zeit von Dezember bis Februar für die Benutzung von Winterreifen prädestiniert gewesen. Insoweit bestehen keine grundlegenden Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit einer Zeitfensterlösung.
Gleichwohl können auch in der Zeit, die generell Winterreifenwetterbedingungen aufweist, an einzelnen Tagen Straßenverhältnisse herrschen, hinsichtlich derer Sommerreifen bessere
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Fahreigenschaften bieten als Winterreifen. Die Sanktionierung der Benutzung von Sommerreifen in einer solchen Situation erscheint im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bedenklich.
Neben den unterschiedlichen klimatischen Verhältnissen in Deutschland ist auch die unterschiedlich starke Betroffenheit von Fahrzeughaltern in Städten und auf dem Land zu berücksichtigen. In Städten, in denen ein Großteil der Fahrzeughalter in Wohnungen lebt, ist die notwendige Lagerung von Winterreifen sehr viel schwieriger als auf dem Lande, wo die Mehrzahl der Fahrzeughalter in Häusern wohnt.
Wird insoweit auf die Möglichkeit, die Reifen bei Händlern zu lagern verwiesen, müssen auch die Kosten berücksichtigt werden, die bei einer Lagerung zwangsläufig anfallen.
4.3.3.4 Unbestimmter Rechtsbegriff
Die Definition der die Ausrüstungspflicht begründenden Witterungsverhältnisse mittels eines unbestimmten Rechtsbegriffes kann andererseits zu rechtlichen Unsicherheiten der betroffenen Fahrzeugführer und regional unterschiedlichen Beurteilungen führen.
4.3.3.5 Regelung des § 19 Abs. 1 StVZO
§ 19 Abs. 1 StVZO normiert die Voraussetzungen unter denen eine Betriebserlaubnis zu erteilen ist. Die Betriebserlaubnis ist die Anerkennung der Vorschriftsmäßigkeit der Betriebssicherheit ( Jagusch / Hentschel, § 19 StVZO, Rn. 2). Voraussetzung der Erteilung ist nach § 19 Abs. 1 Satz 1 StVZO, dass das Fahrzeug oder das Einzelteil den Vorschriften über Kraftfahrzeuge und KfzAnhänger (§§ 32 bis 62), allgemein für alle Fahrzeuge (§§ 30, 31), den Ausführungsanweisungen zur StVZO und, in bezug auf ein vorgeschriebenes Kontrollgerät , der VO (EWG) 3821/85 entspricht. Würde demnach eine Vorschrift zur obligatorischen Ausrüstung von Kfz mit Winterreifen bei bestimmten Witterungsverhältnissen in den §§ 30 ff. StVZO eingefügt, wäre die Einhaltung der Vorschrift Voraussetzung der Erteilung einer Betriebserlaubnis gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 StVZO. Da sich eine solche Ausrüstungsvorschrift aber nur auf einen bestimmten Zeitraum beziehen würde, ist fraglich, auf welchen Beurteilungszeitpunkt abzustellen wäre. Generell erscheint eine Ausrüstungsvorschrift, die sich nur auf einen bestimmten Zeitraum bezieht, im Rahmen der StVZO systemwidrig.
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Unabhängig davon ist fraglich, ob einer Ausrüstungsvorschrift, die eine Benutzung von Winterreifen vorschreibt, nicht auch die Regelung des § 19 Abs. 1 Satz 2 StVZO entgegensteht, nach der unabhängig von den Voraussetzungen von § 19 Abs. 1 Satz 1 StVZO eine Betriebserlaubnis dann zu erteilen ist, wenn die Vorschriften / Voraussetzungen der in § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1-3 StVZO genannten Europarechtlichen Einzelrichtlinien erfüllt sind. Da insbesondere im Anhang IV der Richtlinie 92/53/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 keine Ausrüstungsvorschrift in Bezug auf Winterreifen normiert ist, würde die Regelung einer solchen Vorschrift in den § 30 ff StVZO im Hinblick auf § 19 Abs. 1 Satz 2 StVZO in Leere laufen.
4.3.3.6 Auswirkung auf den internationalen Verkehr
Eine nationale Ausrüstungsvorschrift in der StVZO würde nur inländische Kraftfahrzeuge betreffen. Ausländische Kraftfahrzeuge müssten gleichwohl - unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 und 1 der Verordnung über internationalen Kraftfahrzeugverkehr - auch ohne Winterausrüstung zum vorübergehenden Verkehr in Deutschland zugelassen werden.
Fazit: Die Einführung einer Ausrüstungsvorschrift, die sich nur auf bestimmte Witterungsverhältnisse bzw. nur auf einen bestimmten Zeitraum bezieht, passt nicht in das System der StVZO. Die erforderliche Definition von Winterreifen bzw. die Festlegung einer Mindestprofiltiefe von 4 mm würden jeweils EG-Notifizierungsverfahren erforderlich machen. Vor diesem Hintergrund und den weiteren vorstehend dargelegten rechtlichen Bedenken spricht sich die Arbeitsgruppe klar gegen die Einführung einer Ausrüstungsvorschrift aus.
4.3.4 Einführung einer Verhaltensregel
4.3.4.1 Unbestimmter Rechtsbegriff
Wie sich aus der Darstellung zu Ziffer 4.3.2 ergibt, existiert im Verhaltensrecht keine Regelung, die eine obligatorische Benutzung von Winterreifen vorschreibt. Gleichwohl ergibt sich für den Fahrzeugführer bereits aufgrund der bestehenden Vorschriften, insbesondere der §§ 1, 3 und 23 StVO, die Verpflichtung, mit angepasstem Fahrverhalten und ebenso mit angepasster Fahrzeugausrüstung sich auf die jeweils konkreten, und damit auch auf die
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winterlichen Verkehrsbedingungen einzustellen. Daraus abzuleiten ist die Verpflichtung, bei plötzlich eintretenden winterlichen Verhältnissen und gleichzeitig nur unzureichender Ausrüstung des Fahrzeugs, auf die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr (vorübergehend) zu verzichten. Der Fahrzeugführer hat eigenverantwortlich die Einschätzung vorzunehmen, ob er das Fahrzeug auch bei extremen winterlichen Bedingungen noch sicher beherrschen kann.
Wie unter Ziffer 3 dargestellt, fällt diese Einschätzung oftmals nicht der Situation ange- messen aus, die Eigenverantwortung schlägt vielmehr um in unverantwortliches Verkehrsverhalten. Nicht zuletzt resultiert dies aus der Tatsache, dass sich eine konkrete Verpflichtung, auf entsprechende Straßenverhältnisse auch mit angemessener Bereifung zu reagieren, nicht explizit genannt in der Straßenverkehrsordnung findet, sondern aus allgemeinen Verhaltensregeln abgeleitet werden muss. Es fehlt insoweit an einem klaren gesetzgeberischen Appell an die Fahrzeugführer, an einer klaren Aufforderung, an einem eindeutigen Hinweis innerhalb der Straßenverkehrsordnung.
Eine Verbesserung dieser Situation könnte durch eine Sensibilisierung der Verkehrsteil- nehmer dahingehend erreicht werden, dass die StVO um einen diesbezüglich klarstellenden Hinweis ergänzt wird. Nach Auffassung der Arbeitsgruppe wäre die Möglichkeit gegeben, bei § 2, evtl. in Ergänzung zu Abs. 3a (Unterbrechung bzw. Verzicht auf Fahrt) und in § 23 Abs. 1 (angepasste Fahrzeugausrüstung bei winterlichen Verkehrsbedingungen) klarstellend darauf hinzuweisen, dass Art und Zustand der Bereifung den jeweiligen Witterungsverhältnissen entsprechen muss oder aber wenn nötig, vorübergehend auf eine Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr verzichtet werden muss. Dieser Ansatz berücksichtigt einerseits, wie die zahlreichen prekären Staulagen des vergangenen Winters überdeutlich gezeigt haben, dass das Bemühen der letzten Jahre über eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit mittels Informationskampagnen eine deutliche Verhaltensänderung zu bewirken, offensichtlich nicht im gewünschten Umfang erfolgreich war und umgeht andererseits die zahlreichen Probleme, die mit der Einführung einer obligatorischen Ausrüstungspflicht innerhalb der Straßenverkehrszulassungsordnung verbunden wären.
Die verhaltensrechtliche Normierung der Pflicht auf winterliche Verkehrsbedingungen mit angepasster Fahrzeugausrüstung zu reagieren und andernfalls (vorübergehend) auf die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr zu verzichten, bedient sich, wie dies an zahlreichen anderen Stellen des Verhaltensrechts ebenfalls üblich ist, eines unbestimmten Rechtsbegriffes. Damit ist zwar eine gewisse rechtliche Unsicherheit hinsichtlich der
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Auslegung verbunden, gleichzeitig würde dennoch ein verbindliches Signal von einer derartigen Regelung ausgehen,, wenn eine zwar bereits bestehende, aber den meisten Fahrzeugführern unbekannte Rechtslage nunmehr in eine Rechtsnorm gefasst würde.
Weder die konkrete Definition von Winterreifen noch die Festschreibung einer von § 36 StVZO abweichenden Mindestprofiltiefe wäre bei diesem Lösungsansatz erforderlich. Damit würde insgesamt ein Eingriff in die Straßenverkehrszulassungsordnung nicht erforderlich. Insoweit wäre auch EU-Recht nicht tangiert, so dass kein Notifizierungsverfahren erforderlich würde. Eine zeitnahe Umsetzung wäre demzufolge möglich.
4.3.4.2 Zeitfenster
Wie in Ziffer 4.3.3.3 bereits dargelegt, stellt sich auch hier die Frage, ob über die bisher beschriebene Maßnahme hinaus, eine generelle verhaltensrechtliche Pflicht zur Benutzung von Winterreifen innerhalb eines zu definierenden Zeitfensters eingeführt werden sollte. Die bislang oftmals gegen eine allgemeine Winterreifenpflicht ins Feld geführten Argumente, wonach in Deutschland nur an wenigen Tagen schon aufgrund der herrschenden Temperaturen Winterreifen gegenüber Sommerreifen Vorteile brächten, dürften entsprechend den Ausführungen in Ziffer 4.3.3.3 nicht weiter haltbar sein Die Tatsache, dass innerhalb eines (engen) jahreszeitlichen Fensters in Gesamtdeutschland das Temperaturniveau im Schnitt deutlich unterhalb von 7°C liegt, lässt unter Verkehrssicherheitsaspekten die Verwendung von Winterreifen als deutlich vorteilhaft er- scheinen. Damit sind bisherige Bedenken, eine derartige Vorschrift würde gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen, nicht mehr stichhaltig.
Allerdings würde die Einführung einer obligatorischen verhaltensrechtlichen Ausrüstungspflicht mit Winterreifen innerhalb eines festen Zeitfensters zwingend eine eindeutige Normierung der Anforderungen an den Winterreifen innerhalb der Straßenverkehrszulassungsordnung zur Folge haben müssen. Aufgrund des damit verbun- denen erheblichen Zeitbedarfs kommt diese Lösungsalternative für eine sofortige Umsetzung nicht in Betracht.
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4.3.4.3 Auswirkungen auf den Transitverkehr
Deutschland ist Transitland und insbesondere die Fernverkehrsstrecken werden von einem hohen Anteil vor allem von Fahrzeugen des Güterverkehrs nicht-deutscher Zulassung frequentiert. Im Gegensatz zu einer nationalen Ausrüstungsvorschrift in der StVZO, die nur für inländische Kraftfahrzeuge gelten würde, wären ausländische Kraftfahrzeuge bzw. deren Fahrzeugführer einer Verhaltensregelung in der Straßenverkehrsordnung vollständig un- terworfen. Dieser Gesichtspunkt spielt insbesondere hinsichtlich der Vermeidung bzw. Minimierung von durch winterliche Wetterlagen ausgelösten Staus eine beachtliche Rolle. Eine Neuregelung sollte daher berücksichtigen, dass sie auch für im Ausland zugelassene Kraftfahrzeuge anwendbar ist. Dies ist bereits dann fraglich, wenn eine Verhaltensregelung der StVO auf eine Definition (z.B. des zu benutzenden Winterreifens oder der Profiltiefe) der Straßenverkehrszulassungsordnung zurückgreifen würde.
4.3.4.4 Sanktionierung
Auch wenn mit der Aufnahme einer klarstellenden Regelung in § 2 und § 23 StVO in erster Linie ein Appell an die Kraftfahrer verbunden werden soll, so sollte dennoch die Nicht- beachtung eine Sanktionierung nach sich ziehen. Eine tatbestandliche Konkretisierung bei § 2 Abs. 3a und bei § 23 Abs. 1 würde eine Ergänzung des § 49 StVO nicht erforderlich machen. Anzupassen wäre allerdings die Bußgeldkatalog-Verordnung durch Aufnahme eines entsprechend formulierten Tatbestands mit gleichzeitiger Festlegung des Sanktions- rahmens, was den einschlägigen Gremien vorbehalten bleiben sollte.
Unberücksichtigt kann dabei weitgehend bleiben, dass es offensichtlich derzeit weder für Fahrräder noch für Krafträder Winterreifen gibt. Diese Fahrzeugkategorien wären selbst mit Winterbereifung bei extremen winterlichen Witterungsverhältnissen nicht verkehrssicher zu führen, was einem generellen Benutzungsverbot gleichkommt.
4.3.4.5 Vollzug
Eine situationsbezogene Winterreifenpflicht kann im Zuge von Anhaltekontrollen durch den Polizeivollzugsdienst ohne technischen Aufwand überwacht werden. Dabei erforderlich werdende weitergehende Maßnahmen, wie beispielsweise die Untersagung der Weiterfahrt,
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wären einzelfallbezogen nach den spezialgesetzlichen Regelungen in den Ländern zu treffen.
Fazit: Vor dem Hintergrund, dass eine unzureichende Fahrzeugausrüstung / Bereifung eine Hauptursache von Verkehrsbehinderungen und Staulagen bei winterlichen Verkehrsverhältnissen ist und im Hinblick darauf, dass die Verpflichtung, bei plötzlich eintretenden winterlichen Verhältnissen und gleichzeitig nur unzureichender Ausrüstung des Fahrzeugs, auf die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr (vorübergehend) zu verzichten nicht explizit in der Straßenverkehrsordnung benannt ist, sondern aus allgemeinen Verhaltensregeln abgeleitet werden muss, ist die Arbeitsgruppe der Auffassung, dass die StVO um einen diesbezüglich klarstellenden Hinweis ergänzt werden sollte, um so den notwendigen Appell an die Verkehrsteilnehmer zu richten.
Zusammenfassung
Die bei winterlichen Straßenverhältnissen regelmäßig auftretenden Verkehrsbeeinträchtigungen insbesondere die teilweise chaotischen Stausituationen bis hin zum völligen Erliegen des Verkehrs werden durch verschiedene Faktoren verursacht. Nach Auffassung der Arbeitsgruppe ist neben einer unangepassten oder auch ungekonnten Fahrweise und der Missachtung von Verkehrshinweisen eine häufig nicht den winterlichen Straßenverhältnissen angepasste Fahrzeugausrüstung / Bereifung wesentliche Ursache der verkehrlichen Probleme und Staulagen.
Vor diesem Hintergrund hat die Arbeitsgruppe verschiedene Möglichkeiten zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit bei winterlichen Straßenverhältnissen erörtert und geprüft.
Es bestand Einigkeit, dass eine (ggf. verbesserte) Öffentlichkeitsarbeit / Aufklärung allein nicht ausreichen wird, die notwendige Einsicht der Verkehrsteilnehmer zu bewirken, ihre Kraftfahrzeuge bei entsprechenden Witterungsverhältnissen auf Winterreifen umzurüsten. Weiterhin ist die Arbeitsgruppe der Auffassung, dass straßenverkehrsbehördliche Maßnahmen allein nicht geeignet sind, bei winterlichen Verkehrsverhältnissen die besonders problematischen Staulagen auf Bundesautobahnen zu verhindern.
Eine wie auch immer formulierte rechtliche Verpflichtung, bei entsprechenden Witterungsverhältnissen Winterreifen zu benutzen, setzt voraus, dass Winterreifen und deren Beschaffenheit eindeutig definiert und spezifiziert werden. Um zu gewährleisten, dass Winterreifen die notwendigen Fahreigenschaften bei winterlichen Straßenverhältnissen
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haben, müssten - nach Ansicht der Arbeitsgruppe - Winterreifen abweichend von den Beschaffenheiten der "M+S-Reifen" bestimmt werden.
Darüber hinaus müsste eine Mindestprofiltiefe von 4 mm festgelegt werden. Insoweit wäre es ggf. erforderlich, europarechtliche Notifizierungsverfahren durchzuführen.
Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die oben unter Ziffer 4.3.3 dargestellten rechtlichen Probleme, wird die Einführung einer Zulassungsregel, die auf eine verpflichtende Benutzung von Winterreifen gerichtet ist, einstimmig abgelehnt.
Auch die Normierung einer Verhaltensregel, Winterreifen bei bestimmten Witterungsverhältnissen verpflichtend zu benutzen, wäre letztlich nur sinnvoll, wenn Winterreifen und deren Eigenschaften definiert bzw. spezifiziert würden. Vor diesem Hintergrund und der im Hinblick auf EU-Recht ggf. erforderlichen Notifizierungsverfahren hält die Arbeitsgruppe die Einführung einer ausdrücklichen "Winterreifenpflicht" in der StVO kurzfristig nicht für umsetzbar.
Gleichwohl ist die Arbeitsgruppe - vor dem Hintergrund, dass eine unzureichende Fahrzeugausrüstung / Bereifung eine Hauptursache von Verkehrsbehinderungen und Staulagen bei winterlichen Verkehrsverhältnissen ist und im Hinblick darauf, dass die Verpflichtung, bei plötzlich eintretenden winterlichen Verhältnissen und gleichzeitig nur unzureichender Ausrüstung des Fahrzeugs, auf die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr (vorübergehend) zu verzichten, nicht explizit in der Straßenverkehrsordnung benannt ist, sondern aus allgemeinen Verhaltensregeln abgeleitet werden muss - der Auffassung, dass die StVO um einen diesbezüglich klarstellenden Hinweis ergänzt werden sollte, um so den notwendigen Appell an die Verkehrsteilnehmer zu richten.
DRUCKVERSION des IMK Berichtes:
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